Risikoübergang bei Handelsverträgen - die Bedeutung der Übergabe – polnisches Recht

Zunächst möchten wir die Leser aus den deutschsprachigen Länder darauf hinweisen, dass dieser Beitrag von unserer polnischen Anwaltskanzlei verfasst wurde und sich hauptsächlich mit polnischem Recht und teilweise mit dem UN-Kaufrecht befasst.

Bei Handelsverträgen schenken Unternehmer Fragen wie z.B. dem Gefahrenübergang vom Verkäufer auf den Käufer immer noch zu wenig Aufmerksamkeit. Bei der Beratung oder Verhandlung verschiedener Arten von Verträgen für unsere Mandanten schenken wir Fragen des Risikoübergangs besondere Aufmerksamkeit. Wir stellen fest, dass viele Streitigkeiten auf Unerfahrenheit oder die Unkenntnis der Händler über die grundlegenden Prinzipien des Vertragsrechts zurückzuführen sind.

Wir sind uns bewusst, dass der Käufer nicht in jedem Fall die Möglichkeit hat, die Vertragsbedingungen auszuhandeln. Umso wichtiger ist es, zu verstehen, welche rechtliche Bedeutung die Vertragsbedingungen haben. Damit meinen wir nicht, was sich aus dem Inhalt der einzelnen Bestimmungen ergibt, sondern welche weitergehende Bedeutung die Bestimmungen haben, sei es im Rahmen des polnischen Zivilrecht, internationaler Abkommen oder des Rechts eines anderen Landes. Je nachdem, ob der Vertrag zwischen polnischen Unternehmern geschlossen wird oder eine der Parteien ein ausländischer Unternehmer ist. 

Unsere Erfahrung lässt vermuten, dass alle Regelungen zum Übergang der Gefahr des zufälligen Verlusts oder der Beschädigung von Gütern in den Verträgen meist nicht nur unzureichend geregelt sind, sondern auch die Vertragsparteien die rechtliche Bedeutung des Gefahrenübergangs nicht vollständig verstehen und sich damit einem unnötigen Risiko aussetzen.

→ Wie bestimmen Sie, wann die Gefahr der Beschädigung oder des zufälligen Verlusts der Ware auf die andere Vertragspartei übergeht?

→ Was ist, wenn die Waren über einen Dritten (z.B. einen Spediteur) an den Käufer übergeben werden?

→ Was ist mit der Frage der Prüfung der Waren?

→ Was ist mit internationalen Verträgen?

→ Warum ist der Gefahrenübergang so wichtig?

Wir laden Sie ein, unsere Überlegungen zum Gefahrenübergang in Verträgen zu lesen.

1) Gefahr des zufälligen Verlusts oder der Beschädigung von Waren - allgemeine Regel

Im polnischen Recht ist die Frage des Gefahrübergangs im Zivilgesetzbuch geregelt. Gemäß Artikel 548 § 1 des polnischen Zivilgesetzbuches gehen mit der Lieferung der verkauften Sache die mit der Sache verbundenen Vorteile und Lasten sowie die Gefahr des zufälligen Untergangs oder der Beschädigung der Sache auf den Käufer über.

Aus der obigen Bestimmung ergibt sich unmittelbar, dass ab dem Zeitpunkt der Übergabe der verkauften Sache die Gefahr der Beschädigung oder des zufälligen Verlusts der Sache auf den Käufer übergeht.

Es sei darauf hingewiesen, dass die obige Bestimmung dispositiver Natur ist, was bedeutet, dass die Parteien einen anderen Zeitpunkt des Gefahrenübergangs als die Übergabe der Sache vereinbaren können (so D. Bierecki [in:] Zivilgesetzbuch. Kommentar, Hrsg. J. Ciszewski, P. Nazaruk, Warschau 2019, Art. 548). Mit anderen Worten: Diese Bestimmung kann Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern sein.

Aus praktischer Sicht ist es wichtig, anzugeben, in welchen Situationen der Zeitpunkt des Risikoübergangs rechtliche Bedeutung erlangt. Es kann vorkommen, dass der Käufer nach der Lieferung der Sache, aber vor der Zahlung, die Sache vollständig verloren hat oder die Sache beschädigt wurde. In einem solchen Fall ist der Käufer verpflichtet, den Preis zu zahlen. Wenn die Ware vom Verkäufer beschädigt wurde oder verloren gegangen ist, bevor sie an den Käufer geliefert wurde, d.h. vor dem Gefahrenübergang, haftet der Verkäufer dem Käufer auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder mangelhafter Erfüllung des Vertrags.

Die Situation des Verkäufers ist zudem unterschiedlich, je nachdem, ob es sich bei dem Verkaufsgegenstand um eine nach der Art (Gattungsschuld) oder um eine nach der Identität bezeichnete Sache (Speziesschuld) handelt.

Eine Sache, die nach ihrer Identität bezeichnet wird, ist mit anderen Worten eine Sache, die individuelle Merkmale aufweist und in der Regel unersetzlich ist. Im Falle des Verlusts oder der Beschädigung einer nach ihrer Art bezeichneten Sache hat der Verkäufer immer noch die Möglichkeit, andere Sachen der gleichen Art zu verkaufen. Verliert der Verkäufer die durch ihre Identität bezeichnete Sache vor dem Gefahrübergang, so ist der Käufer von der Zahlung des Preises befreit (D. Bierecki [in:] Zivilgesetzbuch. Kommentar, Hrsg. J. Ciszewski, P. Nazaruk, Warschau 2019, Art. 548).

Bei Sachen, die durch ihre Identität gekennzeichnet sind, erfolgt die Zahlung häufig im Voraus. Verträge werden in Etappen ausgeführt. Es lohnt sich, nicht nur über den Übergang des Risikos, sondern auch über die Rückzahlung von Vorauszahlungen nachzudenken.

Zu beachten ist auch, dass nicht nur der Gefahrenübergang mit der Lieferung der Sache erfolgt, sondern auch die Pflicht, die Sache zu prüfen. Bei Verkäufen zwischen Unternehmern verliert der Käufer seine Gewährleistungsrechte, wenn er die Ware nicht in der für Waren dieser Art üblichen Zeit und Weise untersucht und dem Verkäufer den Mangel nicht unverzüglich angezeigt hat, und wenn sich der Mangel erst später gezeigt hat - wenn er den Verkäufer nicht unverzüglich nach seiner Entdeckung angezeigt hat (Artikel 563 § 1 des polnischen Zivilgesetzbuchs).

Praktische Probleme bei der Lieferung der Ware und damit bei der Geltendmachung möglicher Ansprüche können entstehen, wenn zwischen der Annahme der Ware zum Transport und ihrer Prüfung, d.h. der tatsächlichen Auslieferung an den Käufer oder z.B. der Lagerung der gekauften Ware für einen bestimmten Zeitraum, eine zeitliche Diskrepanz besteht. 

In den Verträgen, die wir analysieren konnten und die komplexe Bauwerke betrafen, sind wir auf besondere Bestimmungen gestoßen, die den Gefahrenübergang beim polnischen Verkäufer ohne Beteiligung des deutschen Käufers vorsahen, wobei der Verkäufer im Namen des Käufers zusätzlich die Abnahme der Ware vornahm und ein entsprechendes Foto übermitteln sollte.

2) Versand der Ware an einen Ort, der nicht der Erfüllungsort ist

Im Geschäftsverkehr kann es vorkommen, dass der Käufer die gekaufte Ware an einen Ort versenden möchte, der nicht der Erfüllungsort gemäß dem Vertrag ist.

In einem solchen Fall gilt die Ware gemäß Artikel 544 des polnischen Zivilgesetzbuchs als geliefert, wenn der Verkäufer sie zur Lieferung an den Bestimmungsort einem Frachtführer anvertraut hat, der mit der Beförderung von Waren dieser Art beauftragt ist.

Mit anderen Worten: Das Risiko des zufälligen Verlusts oder der Beschädigung der Ware geht auf den Käufer über, sobald der Verkäufer die Ware einem Frachtführer, der mit der Beförderung von Waren dieser Art betraut ist, zur Lieferung an den Bestimmungsort anvertraut hat.

Es sei jedoch daran erinnert, dass die in Artikel 544 des polnischen Zivilgesetzbuchs beschriebene Regelung nur gilt, wenn die Sache an einen Ort versandt wird, der nicht der Erfüllungsort ist.

Daher ist es sehr wichtig, den Erfüllungsort im Vertrag genau festzulegen. Wenn der Erfüllungsort nicht im Vertrag angegeben ist, wird es sehr schwierig sein, die in Artikel 544 des polnischen Zivilgesetzbuches genannten Vorteile für den Verkäufer geltend zu machen.

3) Gefahrübergang und Lieferung bei internationalen Verträgen

Ein großer Teil der Verträge wird mit ausländischen Vertragspartnern geschlossen, die besonderen Wert auf die Prüfung der Sache durch den Käufer legen. In Deutschland ist es üblich, beim Kauf von Autos oder Baumaschinen den Begriff „wie besichtigt“ auf den Rechnungen zu sehen.

Bei internationalen Verträgen ist es wichtig, zu wählen, welches Recht auf den betreffenden Vertrag anwendbar sein soll. Bei Verträgen zwischen Vertragspartnern aus der Europäischen Union ist eine Rechtswahl auf der Grundlage von Artikel 3(1) der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht möglich.

In der Praxis stellt sich oft heraus, dass im Angebot, im dreiseitigen Vertrag mit der finanzierenden Partei und in den AGB ein anderes Recht gewählt wurde, was zu Problemen bei der Bestimmung des letztlich anwendbaren Rechts führt.

Wenn der Vertrag nicht dem polnischen Recht unterliegt, sollte sich der Käufer oder Verkäufer vor Vertragsabschluss vergewissern, welche Rechte und Pflichten sich aus den Bestimmungen des ausländischen Rechts ergeben, insbesondere in Bezug auf Sorgfaltspflichten oder die Mitwirkungspflicht.

In vielen Fällen wird bei internationalen Geschäften das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980 in Wien (bekannt als CISG oder Wiener Übereinkommen) anwendbar sein.

Das Wiener Übereinkommen enthält eine interessante Regelung über den Lieferort. Sie ähnelt Artikel 544 des Zivilgesetzbuches. Nach Artikel 31 des Wiener Übereinkommens besteht die Lieferpflicht des Verkäufers, wenn er nicht verpflichtet ist, die Ware an einem bestimmten Ort zu liefern, darin, dass er: (a) wenn der Kaufvertrag die Beförderung der Ware vorsieht, die Ware dem ersten Frachtführer zur Weiterleitung an den Käufer zu übergeben, (b) wenn sich der Vertrag in Fällen, die nicht unter den vorstehenden Absatz fallen, auf bestimmte Waren oder nicht näher bezeichnete Waren bezieht, die aus bestimmten Beständen zu entnehmen oder herzustellen oder zu erzeugen sind, (c) in den anderen Fällen, indem die Ware dem Käufer an dem Ort zur Verfügung gestellt wird, an dem der Verkäufer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seine gewerbliche Niederlassung hat.

Für die Bestimmung des Lieferorts verwenden die Parteien in der Regel die Incoterms.

Die Regelung des Artikels 31 des UN-Kaufrechts wirft Probleme auf, wenn man sie den Artikeln 38 und 39 des UN-Kaufrechts gegenüberstellt, die die Pflicht des Käufers zur Untersuchung der Ware und zur Anzeige von Mängeln betreffen.

Es kann nämlich vorkommen, dass sich der Käufer oder sein Händler vor dem Kauf der Ware in ein anderes Land begibt, um die Ware gemeinsam mit dem Verkäufer zu prüfen. Zwischen der Inspektion der Waren und ihrem Erhalt kann ein gewisser Zeitraum liegen. Die Waren können durch einen externen Spediteur transportiert werden. Nach der tatsächlichen Lieferung kann der Käufer die Waren prüfen und feststellen, dass die Waren nicht den Anforderungen entsprechen. Unsere Anwaltskanzlei hat vor kurzem für einen Mandanten ein Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit der oben genannten Fallstudie erfolgreich abgeschlossen. In dem Fall standen zwei Elemente im Vordergrund: das Versäumnis, die Waren rechtzeitig zu prüfen (das vom Verkäufer vorgebrachte Argument) und die Vereinbarung über die Eigenschaften der Waren (das vom Käufer vorgebrachte Argument). Die Schlussfolgerung aus dem Fall ist, dass der Vertragsgegenstand und seine Eigenschaften, die dem Käufer wichtig sind, so weit wie möglich spezifiziert werden sollten, was in der Folge die negativen Auswirkungen des Gefahrenübergangs und der nicht rechtzeitigen Mängelanzeige minimieren kann.

Vorbehalte

Dieser Artikel stellt keine Rechtsberatung dar. Jeder Fall erfordert eine individuelle Prüfung. Kein Teil des Artikels darf ohne die Zustimmung der Autoren in Rechtsgutachten oder anderen Studien verwendet werden. Der Artikel dient lediglich der Veranschaulichung und stellt die privaten Gedanken der Autoren dar. Der Artikel behandelt nur einen kleinen Ausschnitt des Themas Handelsverträge. Für vertragliche Angelegenheiten empfehlen wir Ihnen, eine spezialisierte Anwaltskanzlei zu konsultieren.

Berlin, den 15.10.2024

Pawel Majewski, LL.M. Polnischer Anwalt

Natalia Paraszczak, Polnische Anwältin (Adwokat)